Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Geschenkausgabe, Originaltitel:Kim Novak badade aldrig i Genesarets sjö
 mit Lesebändchen
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ISBN-13:
9783442738908
Veröffentl:
2008
Einband:
mit Lesebändchen
Erscheinungsdatum:
01.11.2008
Seiten:
320
Autor:
Håkan Nesser
Gewicht:
159 g
Format:
156x101x20 mm
Serie:
73890, btb
Sprache:
Deutsch
Beschreibung:
Das Besondere Taschenbuch - Große Romane im besonderen Taschen-Format

Geschenkausgabe im kleinen Format, bedrucktes Ganzleinen mit Lesebändchen.

Schweden in den 60er Jahren. Ein kleines Sommerhaus an einem der unzähligen Seen. Hier verbringen der 14jährige Erik und sein Freund Edmund die Ferien. Sie schwärmen von der jungen Aushilfslehrerin Ewa, die aussieht wie Kim Novak und sich schon bald beim Dorffest in voller Blüte zeigt. Zwei Tage später findet man die Leiche von Ewas Verlobtem, und Eriks älterer Bruder, der eine Affäre mit Ewa hatte, steht unter Mordverdacht. Der Täter wird jedoch nie gefunden. 25 Jahre später liest der erwachsene Erik zufällig einen Bericht über ungeklärte Verbrechen, und der Sommer von damals bricht mit aller Gewalt über ihn herein. Was ist damals wirklich geschehen?

Ausstattung: mit Lesebändchen
Das, was ich jetzt berichten will, soll von dem SCHRECKLICHEN handeln, natürlich soll es davon handeln, aber auch von ein paar anderen Dingen. Schließlich hat das verhängnisvolle Geschehen dazu geführt, dass ich mich an den Sommer von 1962 besser erinnere als an alle anderen Sommer meiner Jugend. Es hat seinen düsteren Schatten auf so vieles andere geworfen. Auf mich selbst und auf Edmund. Auf meine armen Eltern und meinen Bruder, einfach auf alles damals: den Ort draußen auf dem flachen Land mit seinen Menschen, Ereignissen und Meinungen - das hätte ich vielleicht niemals vom Grunde des Vergessens wieder hervorziehen können, wenn es nicht das Unheimliche gegeben hätte, das damals geschah. Das SCHRECKLICHE.
Wo ich nun anfangen soll, was der ideale Ausgangspunkt wäre, das ist eine Frage, an der ich eine Weile zu beißen hatte, es gibt so viele denkbare Möglichkeiten. Schließlich war ich all diese losen Anfangsfäden so leid, all die verschiedenen Einstiege in diesen Sommer, dass ich mich dazu entschieden habe, einfach an einem ganz normalen Tag daheim in unserer Küche in der Idrottsgatan zu beginnen. Nur mit meinem Vater und mir, an einem milden Maiabend 1962. Gesagt, getan.

»Das wird ein schwerer Sommer«, sagte mein Vater. »Am besten stellen wir uns gleich darauf ein.«
Er kippte die angebrannte Soße ins Spülbecken und hustete. Ich betrachtete seinen etwas krummen Rücken und überlegte. Es kam nicht oft vor, dass er mit bösen Prophezeiungen um sich warf, also konnte ich davon ausgehen, dass er es ernst meinte.
»Ich glaube, ich bin satt«, sagte ich und rollte die noch halb rohe Kartoffel auf die Fleischseite des Tellers, damit es so aussah, als hätte ich wenigstens die Hälfte gegessen. Er trat an den Küchentisch und betrachtete die Überreste ein paar Sekunden lang. Ein etwas betrübter Gesichtsausdruck zeigte sich, mir war klar, dass er mich durchschaut hatte, aber trotzdem nahm er den Teller und kratzte ihn über dem Mülleimer unter der Spüle kommentarlos ab.
»Wie gesagt, ein schwerer Sommer«, sagte er stattdessen, wieder seinen krummen Rücken mir zugewandt.
»Es kommt, wie es kommt«, antwortete ich.
Exakt diese Worte waren eines seiner Rezepte gegen alle möglichen Beschwernisse im Leben, und ich nahm sie in meinen Mund, damit er verstand, dass ich ihm eine Stütze sein wollte. Ihm zeigen wollte, dass wir das hier gemeinsam durchstehen würden und dass ich im Laufe des Jahres das eine oder andere wohl doch gelernt hatte.
»Das ist wahr gesprochen«, sagte er. »Der Mensch denkt, Gott lenkt.«
»Wie gesagt«, erwiderte ich.

Weil es ein richtig schöner Maiabend war, ging ich nach dem Essen zu Benny hinüber. Benny war wie immer auf der Toilette, deshalb saß ich zunächst einmal mit seiner schwermütigen Mutter in der Küche.
»Wie geht es deiner Mutter?«, fragte sie.
»Es wird ein schwerer Sommer«, antwortete ich.
Sie nickte. Holte ihr Taschentuch aus der Kitteltasche und putzte sich die Nase. Bennys Mutter war während des Sommerhalbjahrs immer mal wieder allergisch. Sie hatte Heuschnupfen, so hieß das. Wenn ich genauer darüber nachdenke, glaube ich, sie hatte das ganze Jahr über Heuschnupfen.
»Das hat mein Vater gesagt«, fügte ich hinzu.
»Ja, ja«, sagte sie. »Kommt Zeit, kommt Rat.«
Zu der Zeit lernte ich, dass die Erwachsenen so zu reden pflegten. Nicht nur mein Vater sprach so, man musste so sprechen, damit man überhaupt dazu gehörte, um zu zeigen, dass man schon trocken hinter den Ohren war. Seit meine Mutter ernsthaft krank geworden und ins Krankenhaus gekommen war, hatte ich mir die wichtigsten Floskeln eingeprägt, damit ich sie nach Bedarf anwenden konnte. Es kommt, wie es kommt. Jeder Tag bringt neue Sorgen. Es könnte schlimmer sein. Man weiß ja so wenig.
Oder: »Kopf hoch und mit beiden Beinen fest auf dem Boden bleiben«, wie der schielende Karlesson im Kiosk hundertmal am Tag konstatierte.
Oder: »Kommt Zeit, kommt Rat«, a la Frau Barkman.
Benny hieß nämlich auch noch Barkman. Benny Jesaias Conny Barkman. Viele gab es, die fanden, das wäre eine merkwürdige Namensaneinanderreihung, aber er selbst beklagte sich nie darüber.
Ein geliebtes Kind hat viele Namen, pflegte seine Mutter jedes Mal zu sagen und kicherte dabei, dass ihr leberpastetenfarbenes Zahnfleisch zu sehen war.
»Halt die Klappe«, sagte Benny dann immer. Obwohl ich also schon mit einem halben Bein in der Erwachsenenwelt stand, konnte ich nicht umhin, ich musste mich immer wieder wundern, warum die Leute nicht einfach still waren, wenn sie doch ganz offensichtlich nichts zu sagen hatten. Wie Frau Barkman. Wie der Kiosk-Karlesson, der manchmal, wenn er viele Kunden hatte, sogar beim Luftholen weiterredete, was, um die Wahrheit zu sagen, fürchterlich klang.
»Wie geht es ihr?«, fragte Frau Barkman, als sie das Taschentuch von der Nase genommen hatte.
»Jeder Tag bringt neue Sorgen«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, nicht so gut.«
Frau Barkman knetete ihre Hände im Schoß und hatte ganz feuchte Augen, aber das kam sicher nur vom Heuschnupfen. Sie war eine große Frau, die immer geblümte Kleider trug, und mein Vater behauptete, sie wäre ein bisschen debil. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, und es interessierte mich auch nicht. Es war Benny, mit dem ich reden wollte, nicht seine Mutter mit ihren feuchten Augen.
»Er scheißt ja lange«, sagte ich, in erster Linie, um erwachsen zu wirken und die Konversation weiterzuführen.
»Er hat einen nervösen Magen«, sagte sie. »Den hat er von seinem Papa geerbt.«
Nervösen Magen? Das war das Dümmste, was ich an dem Tag gehört hatte. Ein Magen konnte doch nicht nervös sein? Ich nahm an, dass sie so etwas nur sagte, weil sie debil war, und dass es nichts war, worüber man sich weiter Gedanken machen musste.
»Ist sie noch im Krankenhaus?«
Ich nickte. War nicht der Meinung, dass es Sinn haben würde, weiter mit ihr darüber zu reden.
»Hast du sie besucht?«
Wieder nickte ich. Natürlich hatte ich das. Was dachte sie sich denn? Es war eine Woche her seit letztem Mal, aber so war es nun einmal. Mein Vater fuhr jeden Tag ins Krankenhaus, und das war doch irgendwie die Hauptsache. Das müsste doch sogar so eine wie Frau Barkman kapieren.
»Jaha ja«, sagte sie. »Jeder hat sein Päckchen zu tragen.«
Sie seufzte und putzte sich die Nase. Ich hörte die Toilettenspülung, und Benny kam herausgestürmt.
»Hallo, Erik«, sagte er. »Jetzt habe ich wie ein Pferd geschissen. Wollen wir rausgehen und Scheiße bauen?«
»Benny«, sagte seine Mutter resigniert. »Achte auf deine Sprache.«
»Ja, verdammt, ja«, erwiderte Benny.
Es gab niemanden, der so viel fluchte wie Benny. Niemanden in unserer Straße. Niemanden in unserer Schule. Vermutlich niemanden im ganzen Ort. Als ich in die dritte oder vielleicht in die vierte Klasse ging, kriegten wir eine neue Lehrerin, eine fürchterlich kleinliche mit Unterbiss. Auch noch aus Göteborg. Es hieß, sie hätte eine pädagogische Ader, und am liebsten unterrichtete sie Religion. Als sie sich ein paar Tage Bennys schwefelstinkende Tiraden hatte anhören müssen, beschloss sie, das Problem anzupacken. Mit Zustimmung des Rektors Stigmans und des Klassenlehrers Wermelin durfte sie Benny zwei Stunden die Woche Sprachunterricht geben. Es fing im September an, soweit ich mich erinnere, den ganzen Herbst über waren sie dabei, und zu Weihnachten hatte Benny so ein Stottern entwickelt, dass kein Mensch verstehen konnte, was er sagen wollte. Im Frühling wurde die Göteborgsche gefeuert, Benny fing wieder an zu fluchen, und zu den Sommerferien war der alte Zustand wiederhergestellt.
An diesem Maiabend, als mein Vater gesagt hatte, dass es ein schwerer Sommer werden würde, gingen wir raus und setzten uns in die Zementröhre, Benny und ich. Jedenfalls für den Anfang. Es war wie immer. Die Zementröhre war eine Art Ausgangspunkt für das, was uns im Laufe des Abends noch erwarten würde. Sie lag in einem ausgetrockneten Graben, fünfzig Meter in den Wald hinein, und Gott mag wissen, wie sie dahin gekommen war.

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